Dieser Beitrag wird in Kürze aktualisiert. Solange möchten wir Sie darauf hinweisen, dass einzelne Informationen in diesem Artikel veraltet sein könnten.
Die Unterbringung in einem Pflegeheim dient in erster Linie dem Schutz des Heimbewohners. Denn häufig ist dieser nicht mehr dazu in der Lage, das alltägliche Leben ohne Gefahren für die eigene Gesundheit zu bestreiten. Doch auch im Pflegeheim ist eine vollumfängliche Überwachung oder ein vollständiger Ausschluss aller Gefahren nicht zu erreichen. Unfälle, insbesondere Stürze, sind in Pflegeeinrichtungen keine Einzelfälle mehr. Sind auch Sie in Ihrem Pflegeheim zu Fall gekommen und haben auch Sie das Gefühl, dass dies auf eine mangelnde Sorgfalt oder Aufsicht des Heimbetreibers oder seiner Mitarbeiter zurückzuführen ist? Dann stellen auch Sie sich sicher die Frage nach dem Bestehen etwaiger Ersatzansprüche. Doch wann kommt eine Haftung für einen Unfall im Pflegeheim überhaupt in Betracht? Und wer leistet Ihnen schlussendlich Schadensersatz und Schmerzensgeld? Wir beantworten diese und andere Fragen und geben Ihnen wichtige Verhaltenstipps.
Der Heimvertrag und seine Bedeutung für den Pflegeheimunfall
Der Unterbringung in einem Pflegeheim liegt ein sogenannter Heimvertrag zugrunde. Dieser wird zwischen Ihnen oder Ihrem Vormund und der jeweiligen Pflegeeinrichtung geschlossen. Der Heimträger ist daraus zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- und Betreuungsleistungen verpflichtet, die der Bewältigung eines durch Lebensalter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfsbedarfs dienen.
Medizinische Hauptleistungspflicht ist nach § 7 Abs. 1 WBVG die Erbringung eben dieser vertraglich vereinbarten Pflege- oder Betreuungsleistungen gerade nach dem allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse.
Pflegeheim trifft Schutz- und Obhutspflicht, um Unfällen vorzubeugen
Dies ist jedoch keineswegs die einzige Pflicht des Heimträgers. Außerdem verpflichtet der Heimvertrag den Träger der Einrichtung Ihnen gegenüber nämlich dergestalt zu Schutz und Obhut, dass Sie im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden und Gefahren geschützt werden müssen, sofern Ihr körperlicher oder geistiger Zustand dies gebietet. Damit ist in erster Linie der Schutz vor Stützen in den Räumlichkeiten bzw. auf dem Gelände des Pflegeheims gemeint.
Gerade bei Bewohnern von Pflegeeinrichtungen besteht schließlich eine besondere Sturzanfälligkeit:
- Dies ist zunächst auf das in der Regel höhere Alter der Bewohner zurückzuführen. Laut Statistiken führen gerade altersbedingte Einschränkungen der Sinnesorgane und des Bewegungsapparates dazu, dass ein Drittel der Menschen über 65 Jahre mindestens einmal pro Jahr stürzt. Und auch das Risiko von Stürzen mit schweren, im Extremfall tödlichen Verletzungen nimmt im Alter stark zu.
- Des Weiteren sind Sie in Ihrem Pflegeheim besonderen Gefahrenquellen ausgesetzt. Zu den häufigsten Unfallursachen in deutschen Heimen gehören Stürze auf Treppen, auf der Toilette, in der Dusche oder aus dem Bett oder Rollstuhl.
Maßgebend für die Schutz- und Obhutspflicht ist, ob im Einzelfall wegen Ihrer Verfassung aus der Sicht ex ante ernsthaft damit gerechnet werden musste, dass Sie sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.09.2003, I-8 U 17/03). Es kommt also darauf an, ob konkrete Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, Sie seien einem erhöhtem Sturzrisiko ausgesetzt gewesen.
Fehlen solche Anhaltspunkte, scheidet die Haftung des Heimträgers für Ihre erlittene Sturzverletzung aus. Dies basiert auf dem Gedanken, dass für die Bestimmung des Ausmaßes der Schutz- und Obhutspflichten Ihrem Selbstbestimmungsrecht besonders Rechnung getragen werden muss. Sie als Heimbewohner können durch das Personal nicht nach Belieben, sondern nur unter sehr engen Voraussetzungen in Ihrer Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt werden.
Eine Verantwortung des Heimträgers kommt allerdings sehr wohl in Betracht, wenn ein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes, erhöhtes Sturzrisiko erkennbar und die Vornahme geeigneter Schutzmaßnahmen erforderlich und für Sie und den Heimträger zumutbar war.
Umfang der Sicherheitsvorkehrungen gegen Unfälle im Pflegeheim
Unter dem Gesichtspunkt der Haftungsprophylaxe liegt es aus Sicht des Heimträgers nach dem oben Gesagten nun nahe, im Zweifel größtmögliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, das heißt Sie als möglicherweise gefährdeten Bewohner zu fixieren oder durch die Anbringung eines Bettgitters vor einem Sturz zu sichern. Gerade bei solchen Maßnahmen handelt es sich jedoch um schwerwiegende Eingriffe in Ihre Grundrechte. Insbesondere deshalb sind diese Maßnahmen nur unter den engen Voraussetzungen des § 1906 Abs. 4 BGB und nur mit Ihrer Einwilligung bzw. mit der Einwilligung Ihres Betreuers zulässig.
Und auch die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an die Zulässigkeit der Verwendung eines Bettgitters oder der Fixierung eines Heimbewohners. In die Abwägung über die Erforderlichkeit einer Fixierung zu stellen sind speziell die Belastungen, welche der konkrete Bewohner durch die Fixierung hätte erdulden müssen. In dem vor dem Landgericht Coburg zu verhandelnden Streitfall ging es um eine Patientin, die seit längerer Zeit nicht mehr aus ihrer jeweiligen Sitzposition aufgestanden war. Nach Ansicht des Gerichts erschien es nicht als eine bloß geringfügige Belastung, mehrere Stunden am Tag mit einem Brett dicht am Körper fixiert zu sein, zumal dadurch auch die Sitzposition innerhalb des Sessels nur eingeschränkt variiert werden könne. Das Brett dürfe auch Bewohnern mit kognitiven Beeinträchtigungen häufig das Gefühl einer Fesselung vermitteln, sodass das Fixierbrett tatsächlich nur als ultima ratio verwendet werden solle (LG Coburg, Urteil vom 24.01.2014, 22 O 355/13).
Stattdessen wird in der Regel eine Überwachung im Wege des Sichtkontakts aus dem Dienstzimmer heraus als ausreichend, aber auch als erforderlich angesehen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.09.2003, I-8 U 17/03).
Haftung des Heimbetreibers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld
Wurde Ihnen gegenüber eine der so skizzierten Pflichten schuldhaft verletzt und kam es so zu dem Unfall im Pflegeheim, haftet grundsätzlich der Heimträger für den entstandenen Schaden.
Grundlage für die Haftung ist zunächst der zwischen Ihnen und dem Heimträger geschlossene Heimvertrag. Vorteil bei der Geltendmachung solcher vertraglichen Ersatzansprüche ist für Sie, dass das Vertretenmüssen Ihres Anspruchsgegners nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet wird. Das bedeutet, dass Sie vor Gericht keine Beweise für das Verschulden des Heimträgers bzw. des Personals vorbringen müssen – im Gegenteil: Der Heimträger muss sich exkulpieren und das Nichtvorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung belegen. Allerdings sind vertragliche Schadensersatzansprüche nur auf einen einfachen Schadensausgleich gerichtet. Eine Zahlung von Schmerzensgeld scheidet also nach dieser Anspruchsgrundlage aus.
Etwas anderes gilt in Bezug auf die Ihnen ebenfalls zur Verfügung stehenden deliktischen Ansprüche. Mit Hilfe dieser können Sie auch ein angemessenes Schmerzensgeld erstreiten. Dafür können Sie sich in aller Regel jedoch nicht auf die Vermutung des Vertretenmüssens berufen. Die Beweispflicht trifft stattdessen Sie.
Beweislastumkehr bei voll beherrschbarem Risiko
In bestimmten Konstellationen kann es allerdings unabhängig von der exakten Anspruchsgrundlage und damit auch bei deliktischen Ersatzansprüchen zu Ihren Gunsten zu Beweiserleichterungen kommen. Ist der streitgegenständliche Sturz als Schadensfall im Bereich des sogenannten voll beherrschbaren Risikos anzusehen, greifen für Sie als Geschädigten Beweiserleichterungen, wonach sowohl das Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung als auch des subjektiven Verschuldens vermutet wird. Im Gegensatz zur bereits genannten Vermutungsregelung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, die erst eingreift, wenn feststeht, dass der Schädiger objektiv seine Vertragspflichten verletzt hat, erstreckt sich diese Beweislastumkehr also schon auf den objektiven Pflichtenverstoß.
Voraussetzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Schadensursache innerhalb des voll beherrschbaren Gefahren- und Verantwortungsbereich des Heimträgers liegt und die diesen treffenden Obhutspflichten auch gerade dazu dienen, den Heimbewohner vor einem solchen Schaden zu bewahren (BGH, Urteil vom 18.12.1990, VI ZR 169/90). Dies ist insbesondere beim Vorliegen einer der folgenden Fallgruppen anzunehmen:
- Es kommt während der Beaufsichtigung des Bewohners beim Toilettengang zum Sturz.
- Der Bewohner stürzt auf dem Weg in den Essenssaal, während er sich in Begleitung und Betreuung einer Pflegekraft befindet.
- Es handelt sich um sonstige, überwachte Bewegungs- oder Transportmaßnahmen.
Gemeinsamkeit dieser Beispielsfälle ist es, dass der Unfall sich jeweils in einem Moment ereignet, in dem den Heimträger wegen einer besonderen Gefahrensituation eine gesteigerte, erfolgsbezogene Obhutspflicht trifft. Sie als Bewohner befanden sich also in einer konkreten Gefahrensituation, die eine gesteigerte Obhutspflicht ausgelöst hat und deren Beherrschung einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut worden ist (LG Heilbronn, Urteil vom 29.07.2009, 1 O 195/08). Damit werden diese Fälle insbesondere abgegrenzt von denen, bei denen ein Heimbewohner lediglich im normalen, alltäglichen Gefahrenbereich des Pflegeheims, welcher grundsätzlich der eigenverantwortlichen Risikosphäre des Bewohners zuzurechnen ist, zu Schaden kommt.
Nicht notwendig ist es aber, dass es sich bei der Aufsichtsperson gerade um eine speziell dafür ausgebildete Pflegekraft handelt. Die Annahme eines Schadens im Bereich des voll beherrschbaren Risikos wird von der Rechtsprechung nämlich auch bei den sogenannten Anfängereingriffen bejaht. Auch mit dem Einsatz einer ungelernten Kraft bei einem akut sturzgefährdeten Bewohner, bei welchem zur Vermeidung eines Sturzes die Beaufsichtigung durch eine insbesondere im Umgang mit solch sturzgefährdeten Bewohnern erfahrene Pflegekraft erforderlich ist, kann der Heimträger ein ihm zurechenbares Risiko setzen, das eine entsprechende Beweislastumkehr rechtfertigt.
Wie mache ich Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Sturz geltend?
In jedem Fall sollten Sie nach einem Sturz einige Maßnahmen treffen, um Ihre Ansprüche möglichst reibungslos geltend machen zu können:
- Fertigen Sie Fotos vom Unfallort sowie ein Geschehensprotokoll vom Unfallhergang an. Legen Sie darüber hinaus Ihre Aufmerksamkeit auf Zeugen, um etwaige spätere Beweisschwierigkeiten nach Möglichkeit zu umgehen.
- Begeben Sie sich unverzüglich zu einem Arzt und lassen Sie Ihre Verletzungen attestieren. Dies kann für einen eventuell folgenden Gerichtsprozess von hoher Bedeutung sein, insbesondere für die Beweisaufnahme.
- Für den Fall, dass Sie rechtsschutzversichert sind, sollten Sie noch vor der Inanspruchnahme des Heimträgers Ihre Rechtsschutzversicherung kontaktieren und diese um eine Deckungszusage für die außergerichtliche Auseinandersetzung bitten.
- Anschließend sollten Sie den Heimträger kontaktieren und unter Setzung einer angemessenen Frist eine Schadenseinstandspflicht dem Grunde nach fordern.
- Läuft die Frist erfolglos ab, können Sie Klage beim zuständigen Gericht einreichen. Liegt der Streitwert unter 5.000 €, ist die Klageschrift beim Amtsgericht, andernfalls beim Landgericht einzureichen. Vor letzterem gilt jedoch Anwaltszwang. Sie müssen sich also durch einen Rechtsbeistand vertreten lassen.
Diese Verhaltensempfehlungen gelten selbstverständlich nicht nur für die körperlich geschädigte Person selber, sondern auch für etwaige Rechtsnachfolger (Erben). Sollte etwa Ihr Vater, Ihre Mutter oder ein sonstiger Angehöriger bedauerlicherweise bei dem Sturz zu Tode gekommen sein, können Sie als Erbe die aufgelisteten Ansprüche aus übergegangenem Recht nach § 1922 Abs. 1 BGB geltend machen.