Entzündung nach Piercing – Schadensersatz vom Piercingstudio fordern Haftungsrecht

Entzündung nach Piercing – Schadensersatz vom Piercingstudio fordern

Zuletzt aktualisiert Lesezeit:
14 Bewertungen

Dieser Beitrag wird in Kürze aktualisiert. Solange möchten wir Sie darauf hinweisen, dass einzelne Informationen in diesem Artikel veraltet sein könnten.

Sie haben sich ein Piercing stechen lassen und leiden nun an einer Entzündung? Oder Sie sind aus anderen gesundheitlichen oder vielleicht sogar aus ästhetischen Gründen nicht zufrieden mit dem Ergebnis? Dann stellen auch Sie sich vielleicht die Frage, ob und inwiefern Sie von Ihrem Piercer Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld verlangen können.

Zentrale Voraussetzung dafür ist eine Pflichtverletzung des Piercers, also etwa ein fehlerhaftes Piercing oder eine Nichteinhaltung der einschlägigen Hygienevorschriften. Diese und weitere rechtliche Aspekte rund um den Piercingvertrag beleuchtet unser Artikel. Außerdem geben wir Ihnen wichtige Praxistipps zur Geltendmachung Ihrer Ersatzansprüche.

In einem vor dem LG Koblenz verhandelten Fall wurde der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € zugesprochen (LG Koblenz, Urteil vom 24.01.2006, 10 O 176/04).

Die Klägerin erhielt ohne fachgerechte Aufklärung ein Brustwarzenpiercing, welches nach einigen Wochen eine Brustentzündung hervorrief und mehrere Krankenhausaufenthalte sowie Operationen erforderte. Die Klägerin litt längere Zeit unter massiven Schmerzen.

Rechtliche Einordnung des Piercings und meine Rechte bei einer Entzündung

Qualifizieren lässt sich der Piercingvertrag erst einmal als klassischer Werkvertrag. Der Piercer schuldet Ihnen also einen konkreten Erfolg, nämlich das fertig gestochene Piercing. Dies gilt unabhängig davon, für welche Art eines Piercings Sie sich entschieden haben. Besonders häufig kommen in der Praxis folgende Piercings vor:

  • Helix-Piercing, Tragus-Piercing und sonstige Piercings am Ohr
  • Zungenpiercing und Lippenbändchenpiercing
  • Nasenpiercing und Septum-Piercing
  • Bauchnabelpiercing
  • Brustwarzenpiercing
  • Intimpiercing

Piercing als Körperverletzung?

All diese Piercings haben gemeinsam, dass Löcher durch die Haut des menschlichen Körpers gestochen oder teilweise auch geschossen werden, um sodann durch diese Löcher Ringe oder Stäbe anzubringen. Mithin wird vorsätzlich in die körperliche Unversehrtheit eingegriffen. Piercings stellen strafrechtlich also eine Körperverletzung dar, deren Rechtswidrigkeit nur durch Ihre wirksame Einwilligung ausgeschlossen werden kann (OLG Nürnberg, Urteil vom 28.09.2006, 2 U 1145/06).

Die Einwilligung bezieht sich jedoch nur auf eine nach den Regeln der Kunst durchgeführte Arbeit. Ihre Einwilligung bezieht sich also keinesfalls auf etwaige Fehler oder Missachtungen der Sorgfaltspflichten des Piercers im Rahmen des Piercens; diese werden nicht etwa durch die Einwilligung „geheilt“.

Grundsätzlich können auch Minderjährige die notwendige Einwilligung erteilen – und das sogar ohne die Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten. Rechtlich gesehen kommt es dabei auf die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen an. Der Piercer muss also sicherstellen, dass der Minderjährige den erforderlichen persönlichen Reifegrad besitzt, um die Bedeutung und Tragweite der Körperverletzung zu erfassen und das Ausmaß seiner Entscheidung, sich piercen zu lassen, zu erkennen.

Eine wirksame Einwilligung i. S. d. § 228 StGB liegt allerdings unabhängig von Ihrem Alter nur dann vor, wenn Sie in der Lage gewesen sind, die Risiken des Eingriffs zu erkennen und Nutzen und Schaden gegeneinander abzuwägen. Ohne vollumfängliche und schriftliche Einwilligungserklärung in den Piercingvorgang hat der Piercer schlechte Karten vor Gericht. Zwar kann die Einwilligung auch mündlich erteilt werden, allerdings ist der Piercer in der Beweislast, dass Sie tatsächlich in das Piercing eingewilligt haben.

Fachkunde des Piercers – wer darf überhaupt piercen?

Nach wie vor ist das Piercen oder die Eignung zum Piercer nicht konkret gesetzlich geregelt. Es gibt allerdings Rechtsprechungstendenzen, die eine gewisse Fachkunde vom Piercer verlangen.

So hat das VG Gießen mit Urteil vom 09.02.1999 zum Aktenzeichen 8 G 2161/98 entschieden, dass nur derjenige Personen piercen darf, der über ein entsprechendes Fachwissen verfügt. Nach Ansicht der Richter sei zumindest eine Ausbildung zum Heilpraktiker zu erwarten.

Soweit beim Piercen eine Lokalanästhesie vorgenommen wird, ist dies in jedem Falle als Ausübung der Heilkunde getreu § 1 Abs. 2 HeilprG zu qualifizieren (VGH Hessen, Urteil vom 02.02.2000, 8 TG 713/99). Hierzu bedarf es einer abgeschlossenen Ausbildung zum Heilpraktiker.

In Auseinandersetzungen mit dem Piercer sollte stets auch dessen Qualifikation hinterfragt werden, auch wenn es nach wie vor an einer einheitlichen gesetzlichen Regelung ermangelt.

Aufklärungspflicht des Piercers

Um Sie in diese Lage zu versetzen, muss der Piercer eine umfassende Aufklärung über die Risiken des Piercens vornehmen. Die genauen inhaltlichen Anforderungen an die Aufklärung richten sich ganz grob nach dem Behandlungsvertragsrecht und § 630e Abs. 1 BGB. Danach ist der Behandelnde verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Und auch wenn die Rechtsprechung betont, dass die strengen Maßstäbe an das Aufklärungserfordernis durch Ärzte auf den Fall eines Piercings nicht ohne weiteres anzuwenden sind.

Auch von dem Betreiber eines Piercingstudios ist zu erwarten, dass zumindest über bekannte Risiken aufgeklärt wird (LG Koblenz, Urteil vom 24.01.2006, 10 O 176/04). Denn gerade bei Eingriffen, die nur kosmetischen oder dekorativen Zwecken dienen, ist besonders deutlich auf die Nebenfolgen hinzuweisen. Dazu gehören bei einem Piercing insbesondere:

  • Infektionserkrankungen,
  • Thrombose, Embolie, Lymphknotenentzündungen und neurologische Ausfallerscheinungen,
  • Entzündungen rund um die gepiercte Körperregion.

Bagatellisiert der Piercer die Gefahren, so wird er seiner Aufklärungspflicht nicht gerecht.

Der formularmäßige Hinweis, ein „Piercing stelle einen Eingriff in die Unversehrtheit dar und könne zu gesundheitlichen Schäden führen“, wird den Anforderungen an eine regelgerechte Aufklärung nicht gerecht.

Weist der Piercer Sie nicht in einem mündlichen und verständlichen Aufklärungsgespräch auf mögliche negative Folgen des Piercings hin, so verletzt der Piercer seine Beratungspflicht (AG Neubrandenburg, Urteil vom 10.10.2000, 18 C 160/00).

Fehler beim Piercen

Die Hauptleistungspflicht des Piercers ist und bleibt aber das fehlerfreie Stechen eines Piercings.

Dazu gehört zunächst die Einhaltung der einschlägigen Hygieneregeln. Diese sind in der Verordnung zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (auch: Hygiene-Verordnung NRW) geregelt. Danach treffen den Piercer folgende Pflichten:

  1. Ihr Piercer muss vor der jeweiligen Behandlung seine Hände sorgfältig reinigen und diese sowie die zu behandelnden Haut- oder Schleimhautflächen desinfizieren.
  2. Bei der Ausübung der Tätigkeit muss der Piercer Einmalhandschuhe tragen. Für jeden neuen Kunden sind neue Einmalhandschuhe zu verwenden.
  3. Das Durchstechen oder Durchschießen der Haut muss mit sterilen Geräten, Werkzeugen oder Gegenständen vorgenommen werden. Sterile Einmalmaterialen dürfen nach dem ersten Gebrauch nicht wieder verwendet werden.
  4. Mehrfach verwendbare Geräte, Werkzeuge und Gegenstände muss der Piercer dagegen nach jedem Gebrauch reinigen und mindestens an jedem Arbeitstag desinfizieren.
  5. Der Arbeitsbereich des Piercers muss geeignet und so beschaffen sein, dass alle Oberflächen leicht zu reinigen und zu desinfizieren sind. Die Arbeitsflächen sind mindestens an jedem Arbeitstag gründlich zu reinigen und zu desinfizieren.

Bei der Behandlung selber muss Ihr Piercer außerdem darauf achten, dass das Piercing ordnungsgemäß gesetzt wird. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn beim Piercen der Piercingkanal einreißt, weil das Piercing an einer Stelle mit zu wenig Gewebe oder einer zu dünnen Hautschicht gesetzt wurde. Ein auf diese Weise mangelhaft gesetztes Piercing stellt rechtlich einen Mangel im Sinne des § 633 Abs. 2 BGB dar.

Erforderlichkeit einer Fristsetzung gegenüber dem Piercer

Dementsprechend müssen Sie Ihrem Piercer nach § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB erst eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzen, bevor Sie Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen. Die Nacherfüllung kann beispielsweise eine Entfernung des mangelhaften Piercings mitsamt Neuvornahme der ästhetischen Behandlung umfassen.

In besonders gelagerten Konstellationen können Sie sich jedoch auf eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung aus Ihrer Sicht berufen, wodurch das Fristsetzungserfordernis nach Maßgabe des § 636 BGB entfällt. Unzumutbar ist eine Nacherfüllung grundsätzlich dann, wenn aus der maßgeblichen objektiven Sicht des Auftraggebers das Vertrauen in die ordnungsgemäße Durchführung der Mängelbeseitigung nachhaltig erschüttert ist.

Da es beim Piercen um eine Arbeit geht, deren Duldung für Sie als Auftraggeber mit körperlichen Schmerzen verbunden ist und deren Schlechterfüllung gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann, kommt Ihrem Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Piercers eine besondere Bedeutung zu. Die Folgen eines erfolglosen Nachbesserungsversuchs, die bei anderen Werken in der Regel überschaubar sind, können hier gravierend sein. Verständliche Bedenken gegen die Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers sind daher beim Piercen eher als bei anderen Werken geeignet, die Nachbesserungsverweigerung zu rechtfertigen (vgl. zum Tattoo OLG Hamm, Beschluss vom 05.03.2014, I-12 U 151/13).

Besonderheiten bei der Schadensberechnung durch Kostenbeteiligung an den Behandlungskosten

Ist die Frage nach dem Fristerfordernis sodann geklärt, sollten Sie noch Folgendes beachten, wenn Sie den konkreten Schadensbetrag errechnen: Krankenkassen übernehmen Heilbehandlungskosten, beispielsweise Kosten für eine notwendige Operation zur Entfernung aufgrund des fehlerhaft gesetzten Piercings entstandener Entzündungsherde, nur zum Teil. Regelmäßig muss der Geschädigte die restlichen Kosten zunächst selber tragen. Auch Krankengeld wird oftmals versagt oder gekürzt. Hierbei berufen sich die Krankenkassen auf § 52 Abs. 2 SGB V.

Nach § 52 Abs. 2 SGB V müssen sich gesetzlich Krankenversicherte an den Kosten für eine Krankheit beteiligen, die auf einer medizinisch nicht indizierte Maßnahme basiert. Das gilt freilich auch für das Piercing. Hier entstehen für den Körperschmuckträger Kostenrisiken, wenn es zu einer Infektion oder Erkrankung aufgrund des Piercings kommt. Geben Sie sich nicht der Illusion hin, Ihre Krankenkasse werde schon nichts vom Piercing als Auslöser der Entzündung oder Erkrankung mitbekommen. Sie können sich darauf einrichten, dass Ihnen als geschädigter oder geschädigtem die Krankenkasse eine Selbstbeteiligung auferlegt, denn Ihr Arzt hat eine Meldepflicht gegenüber der Krankenversicherung bzgl. der durch das Piercing ausgelösten Komplikation (OLG Nürnberg, Urteil vom 28.09.2006, 2 U 1145/06).

Haben sich Versicherte eine Krankheit durch […] ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.

§ 52 Abs. 2 SGB V

Die sich aus der Anwendung dieser Rechtsvorschrift durch die Krankenkassen ergebende Differenz, also den von Ihnen zu tragende Betrag, dürfen Sie bei der Geltendmachung des Ihnen entstandenen Schadens gegenüber dem Piercingstudio keinesfalls unberücksichtigt lassen.

Soweit Sie eine Auseinandersetzung mit Ihrem Piercingstudio führen, sollten Sie unbedingt die Ihnen auferlegten Behandlungskosten als Schadensersatz vom Piercer mit einfordern. Sollte Ihnen die Höhe des Selbstbehalts noch nicht bekannt sein, so können Sie diesen außergerichtlich über ein entsprechendes Anerkenntnis der Schadenseinstandspflicht und gerichtlich über einen entsprechenden Feststellungsantrag sichern.

Verhaltensempfehlungen zur Geltendmachung der Ansprüche

Hat Ihr Piercer nun eine der aufgeführten Aufklärungs- oder Leistungspflichten verletzt, stehen Ihnen verschiedene Ersatzansprüche zu.

Zunächst können Sie vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen. Im Falle einer infolge mangelhafter Aufklärung unwirksamen Einwilligung ergibt sich ein solcher Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. Ist dagegen das Piercing selber fehlerhaft, können Sie Ihren Anspruch auf §§ 634 Nr. 3, 280 ff. BGB stützen. In beiden Konstellationen können Sie jedoch nur Geldausgleich verlangen und kein Schmerzensgeld.

Anders ist es bei deliktischen Ansprüchen, die Ihnen ebenfalls zustehen. Aus § 823 BGB ergeben sich schließlich sowohl Schadensersatz- als auch Schmerzensgeldansprüche. Der Nachteil gegenüber den vertraglichen Ersatzansprüchen besteht jedoch darin, dass Sie Ihrem Piercer ein Verschulden nachweisen müssen und dieses nicht zum Nachteil Ihres Vertragspartners vermutet wird.  

Um etwaige Beweisschwierigkeiten zu beheben und die Erfolgsaussichten Ihrer Ansprüche insgesamt zu erhöhen, empfehlen wir Ihnen folgendes Vorgehen:

  1. Lassen Sie sich sowohl zum Aufklärungsgespräch als auch zur Behandlung selber von einer vertrauten Bezugsperson begleiten, die Ihnen im Fall der Fälle als Zeuge zur Seite stehen kann. Bewahren Sie außerdem unbedingt den Aufklärungsbogen auf.
  2. Fertigen Sie Fotos vom Piercing sowie ein Schmerzprotokoll an. Begeben Sie sich unverzüglich zu einem Arzt und lassen Sie Ihre Beschwerden und Verletzungen attestieren. Dies kann für einen eventuell folgenden Gerichtsprozess von besonderer Bedeutung sein, insbesondere hinsichtlich der Beweisaufnahme.
  3. Falls Sie rechtsschutzversichert sind, sollten Sie sich anschließend mit Ihrer Rechtsschutzversicherung in Verbindung setzen und eine Deckungszusage für die außergerichtliche Auseinandersetzung erbitten.
  4. Sodann können Sie sich mit Ihrem Piercer in Verbindung setzen und unter Setzung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung eine Schadenseinstandspflicht dem Grunde nach fordern.
  5. Reagiert Ihr Piercer auf das Schreiben nicht, können Sie Klage beim zuständigen Gericht (am Sitz des Piercingstudios) erheben. Bei Streitwerten unter 5.000 € ist dies das Amtsgericht, andernfalls das Landgericht. Vor letzterem müssen Sie sich aber von einem Rechtsanwalt vertreten lassen. 
Chat starten