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Sie leiden nach einer Operation an Ihrer Schilddrüse unter Heiserkeit und Stimmstörungen, Reizhusten oder Atemnot? Die sogenannte Recurrensparese nach einer Schilddrüsenoperation kommt selten vor, ist aber durchaus eine bekannte Komplikation, über die der Arzt Sie im Vorfeld aufklären muss (OLG Stuttgart, Urteil vom 24.06.1993, 14 U 54/92). Ob Lobektomie, Strumektomie oder Thyreoidektomie korrekt durchgeführt wurden oder ob der Arzt das Risiko der Stimmbandlähmung hätte senken können, entscheidet die Auswertung der Behandlungsunterlagen.
Recurrensparese: Folgenschwere Gesundheitsbeeinträchtigung
Recurrensparese beschreibt den Zustand der Stimmbandlähmung und ist der medizinische Fachausdruck für eine Schädigung des Nervus laryngeus recurrens. Dabei handelt es sich um einen Ast des zehnten Hirnnervs, der die Bewegungsanweisungen für die inneren Kehlkopfmuskeln vom Gehirn zum Kehlkopf leitet und somit für Stimmgebung und Atmung wichtig ist. Abhängig davon, ob die Lähmung nun ein- oder beidseitig auftritt, können Kommunikationsfähigkeit und Lebensqualität stark eingeschränkt sein. Denn die möglichen Folgen einer Recurrensparese reichen von einer sehr leisen Stimme bis hin zur Atemnot bei geringsten Belastungen.
- Bei der einseitigen Stimmbandlähmung gleicht die gesunde Seite die Lähmung der betroffenen Seite so gut es geht aus. Sie äußert sich meistens durch Heiserkeit und geräuschvolles Atmen, lange Gespräche sind anstrengend und die Stimme ist kraftlos.
- Bei einer beidseitigen Lähmung dagegen stehen Atemnot und Lufthunger bei Belastung im Mittelpunkt, in schweren Fällen sogar bereits bei einfachsten täglichen Arbeiten.
Die häufigsten Behandlungsfehler bei der Schilddrüsen OP
Die Bandbreite potentieller ärztlicher Behandlungsfehler ist auch bei Schilddrüsenoperationen sehr groß. Nach Durchsicht der uns bekannten Fälle, lassen sich jedoch typische, besonders häufig auftretende Fehler der behandelnden Ärzte erkennen und dementsprechend kategorisieren. Gemein ist allen, dass sie eine Abweichung vom medizinischen Standard darstellen und damit als ärztliche Behandlungsfehler zu qualifizieren sind.
Die Bewertung, ob ein ein Behandlungsfehler vorliegt muss allerdings in jedem Einzelfall getroffen werden.
Fehlende Indikation für die Schilddrüsen OP
Nicht selten fehlt es bereits an einer Indikation für die später durchgeführte Operation. Einige HNO Ärzte neigen nämlich dazu, Eingriffe an der Schilddrüse zu voreilig vorzunehmen.
Nicht indiziert ist eine Schilddrüsen OP etwa in folgenden Fällen (die Liste ist keineswegs abschließend, sie soll nur einige Beispiele nenne, in denen eine OP nicht empfohlen ist).
- Bei der Überfunktion der Schilddrüse muss vor einer OP die konservative Therapie (Behandlung mit Thyreostatika) hinreichend ausgeschöpft sein.
- Eine Schilddrüsenvergrößerung (Struma) darf grds. nicht operiert werden, ohne dass nicht zuvor eine umfassende Ursachenforschung betrieben wird. So kann etwa ein chronischer Jodmangel die krankhafte Vergrößerung verursacht haben. Der Jodmangel kann durch die Vergabe von Jod-Tabletten beseitigt werden und oftmals zur Verkleinerung der Schilddrüse führen.
- Auch bei akuten schmerzhaften Entzündungen mit lokalen Beschwerden verbietet sich in den meisten Fällen eine OP, soweit nicht zuvor umfassende entzündungstherapeutische Maßnahmen (wie die medikamentöse Behandlung mit Antiphlogistika oder Kortison) erfolgt sind und erfolglos blieben.
- Bei einem deutlich schelchtem Allgemeinzustand des Patienten verbietet sich ohnehin die Schilddrüsen OP.
- Symptomatische Schilddrüsenknoten, Schilddrüsenzysten und hormonell aktive Schilddrüsenadenome dürfen regelmäßig nicht operativ behandelt werden, soweit lokale nicht-operative Therapieansätze (Alkoholinjektion, Mikrowellenablation, Lasertherapie, Ultraschalltherapie, Radiofrequenzablation, Thermoablation) nicht hinreichend ausgeschöpft wurden.
Im Falle der Behandlung von Kindern und Jugendlichen müssen die Besonderheiten der Anatomie, Physiologie und das erhöhte Komplikationsrisiko bei der Indikationsstellung besonders berücksichtigt werden. Beispielsweise Schilddrüsenknoten sind bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen häufiger mit einem bösartigen Geschwulst verbunden. Zudem sollten Schilddrüsenoperationen bei Kindern und Jugendlichen aufgrund der erhöhten Gefahr eingriffsspezifischer Risiken von besonders in der Schilddrüsenchirurgie erfahrenen Chirurgen mit hohem Operationsaufkommen durchgeführt werden.
Mangelhafte Aufklärung über Behandlungsalternativen und Risiken
Außerdem sehr relevant in der medizinischen Praxis sind Aufklärungsfehler. Achten Sie als Patient also darauf, dass Sie ausreichend über mögliche Behandlungsalternativen und die OP-spezifischen Risiken aufgeklärt werden. Denn ein ärztlicher Heileingriff bedarf zu seiner Legitimation immer der Einwilligung des informierten und aufgeklärten Patienten. Erst die hinreichende Aufklärung Ihnen gegenüber führt dazu, dass Sie in den Heileingriff wirksam einwilligen können und dieser nach der Rechtsordnung gerechtfertigt erscheint (BGH, Urteil vom 21.11.1995, VI ZR 341/94).
Die genauen inhaltlichen Anforderungen an die Aufklärung sind in § 630e Abs. 1 BGB geregelt. Danach ist der Behandelnde verpflichtet, Sie als Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der ins Auge gefassten Maßnahme sowie deren Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die gestellte Diagnose. Bei der Aufklärung ist zudem auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen auf Ihrer Seite führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.
Konkret in Bezug auf Schilddrüsenoperationen bedeutet dies folgendes: Solange Sie nicht unter einer nicht ausreichend therapierbaren Überfunktion der Schilddrüse leiden oder eine konservative Therapie aus anderen Gründen explizit ausgeschlossen ist, müssen Sie über alternative therapeutische Optionen wie eine Radiojodtherapie inklusive deren Belastungen, Risiken und Erfolgschancen aufgeklärt werden.
Fehler bei der Schilddrüsen Operation
Anknüpfungspunkt für einen Behandlungsfehler kann jedoch auch der operative Eingriff selber sein. Zurückzuführen ist eine Recurrensparese nämlich sehr häufig auf eine fehlende visuelle Darstellung des Nervus laryngeus recurrens intraoperativ oder auf einen Verzicht auf das Neuromonitoring.
- Ob eine visuelle Darstellung des Nervus laryngeus recurrens im Rahmen von Eingriffen an der Schilddrüse nun notwendig ist oder nicht, war lange umstritten. Die Gerichte verneinten dies bis vor wenigen Jahren noch (BGH, Beschluss vom 28.03.2008, VI ZR 57/07; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.01.2007, I-8 U 116/05), denn: „Bekommt man den Nerv nicht zu Gesicht, kann man ihn nicht verletzen.“ Die Fachliteratur fordert dagegen schon lange, dass der Nerv dargestellt werden müsse, um ihn sicher schonen zu können. Der heutige Kompromiss geht in Richtung einer Identifizierung ohne langstreckige Darstellung. Man spricht auch von einer Sichtschonung. Allerdings sehen auch die einschlägigen Leitlinien zur Therapie der benigen Struma, die von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zusammengestellt wurden, keine Verpflichtung zu einer entsprechenden Darstellung vor. Enthalten ist lediglich eine Empfehlung. Danach sollte eine intraoperative Darstellung des Nervus laryngeus recurrens immer dann durchgeführt werden, „wenn die Präparations- beziehungsweise Resektionsnähe zum möglichen Verlauf des Nervus recurrens eine Darstellung erforderlich macht, um die anatomische und funktionelle Integrität des Nerven bestmöglich zu schonen. Bei allen Primäreingriffen, deren Präparations- und Resektionsebene vor der vorderen Grenzlamelle liegt, und bei allen Reoperationen, die mit einer Präparation im möglichen Nervenverlauf einhergehen, sollte die Resektion unter Darstellung des Nervus recurrens durchgeführt werden. Der Nervus recurrens sollte grundsätzlich bei der (fast) totalen Lappenresektion beziehungsweise Hemithyreoidektomie und totalen Thyreoidektomie dargestellt werden. Die Nichtdarstellung des Nervus recurrens auf der operierten Seite sollte begründend dokumentiert werden.“ Schlussendlich kommt es also auf den Operationsbericht und damit auch auf die Dokumentation an. Nicht immer bedeutet der Verzicht auf eine Darstellung auch zwangsläufig einen Behandlungsfehler. Trotzdem sollte jeder Operateur im Operationsbericht Darstellung oder Nichtdarstellung des Nervus laryngeus recurrens ausführlich begründen. Achten Sie als Patient also auf ein nachvollziehbares Operationsprotokoll, das den sichtkontrollierten Umgang mit dem Nervus laryngeus recurrens entweder eindeutig belegt oder den Verzicht darauf eingehend begründet.
- Gänzlich unumstritten ist demgegenüber, dass im Rahmen von Schilddrüsenoperationen ein Neuromonitoring durchgeführt werden muss. Dabei wird vom Operateur über eine feine Sonde ein minimaler Stromstoß an den Nervus laryngeus recurrens abgegeben. Dieser leitet den Impuls an den Kehlkopfmuskel weiter, sodass sich das Stimmband bewegt, was zu einem optischen und akustischen Signal führt. So kann sich der Operateur dauerhaft von der Lage und Funktion des Nerves überzeugen. Damit ist es ihm möglich, sofort zu erkennen, wenn sich der Nervus laryngeus recurrens in Gefahr befindet. Er kann also handeln, bevor eine Nervenirritation zu einer Schädigung führt. Verzichtet Ihr Operateur nun auf diese Möglichkeit, Irritationen des Nervus laryngeus recurrens beim operativen Eingriff anhand von elektrischen Impulsen sichtbar zu machen, können Sie sich automatisch auf einen Behandlungsfehler berufen.
Unzureichende Nachsorge
Mit der leitliniengerechten Durchführung der Schilddrüsenoperation ist die Frage nach einem möglichen Behandlungsfehler jedoch noch keinesfalls ad acta gelegt. Auch die medizinische Nachsorge muss fachgerecht ablaufen. Unmittelbar nach dem Eingriff sollte der HNO-Arzt Ihre Stimmbandbeweglichkeit prüfen, um im Falle einer sodann diagnostizierten Recurrensparese unverzüglich die Behandlung einleiten zu können. Andernfalls kann es aufgrund der verspäteten Reaktion zu langanhaltenden Folgeschäden kommen.
Beispielsfälle aus der Praxis
Um diese zugegeben sehr theoretischen Anforderungen an Ihre Behandlung etwas verständlicher zu machen, wollen wir an dieser Stelle zwei uns bekannte Sachverhalte schildern:
Bei einer 30-jährigen Patientin wurde eine Struma dritten Grades diagnostiziert und zur Behebung eine operative Behandlung vorgeschlagen. Vor Durchführung der Operation erfolgte sowohl eine regelhafte Operationsaufklärung als auch eine HNO-ärztliche Befunderhebung der intakten Stimmbandfunktion. Die Operation selber beinhaltete die beiderseitige Entfernung der Schilddrüse bis auf einen unterschiedlich großen Rest. Postoperativ wurde eine vollständige Stimmbandlähmung links und eine Minderbeweglichkeit rechts festgestellt. Aufgrund fortbestehender Stimm- und Atmungsbeeinträchtigung inklusive dem medizinischen Befund einer Recurrensparese erhob die Patientin den Vorwurf der Behandlungsfehlerhaftigkeit. Die damals eingeschaltete Gutachterkommission gab diesem Vorwurf statt. Schließlich war eine nachvollziehbare Schilderung der Freilegung und Identifizierung des Nervus recurrens und dessen Sichtkontrolle auf Unversehrtheit dem Operationsbericht nicht zu entnehmen.
Bei einem 46-jährigen Patienten wurde ein Knotenstruma diagnostiziert und zur operativen Behebung eine linksseitige Totalentfernung sowie eine rechtsseitige subtotale Entfernung vorgeschlagen. Das Untersuchungsresultat des entfernten Teils ergab ein Schilddrüsenkarzinom, also einen bösartigen Tumor der Schilddrüse. Dieser Befund sorgte für eine Nachoperation zur Entfernung des kleinen, auf der rechten Seite belassenen Drüsenrestes. Eine spätere Kontrolluntersuchung bestätigte einen etwa 13ml großen Drüsenrest rechts. Ein auf Patientenwunsch ins Auge gefasster dritter Eingriff in einem anderen Klinikum zur vollständigen Entfernung musste risikobedingt abgebrochen werden. Auch in diesem Fall bestätigte die Gutachterkommission einen Behandlungsfehler im Rahmen der zweiten Operation. Zunächst sei bei einem Karzinom die Entfernung der betroffenen Seite beziehungsweise die beidseitige Entfernung vollauf ausreichend und eine Radikalitätsausweitung durch Reoperation unnötig. Zudem habe der zweite Eingriff aufgrund des immer noch nachweisbaren Drüsenrests sein Ziel objektiv verfehlt.
Praxistipps beim Verdacht auf eine fehlerhafte Schilddrüsenoperation
Haben Sie nach einer bei Ihnen durchgeführten Schilddrüsenoperation und ausgehend von diesem Artikel nun den Verdacht, dass auch Sie Opfer eines Behandlungspfuschs geworden sind, raten wir Ihnen das folgende Vorgehen:
- Beim Verdacht auf eine Fehlbehandlung im Rahmen Ihrer Schilddrüsen OP sollten Sie zunäscht die Patientenakte anfordern. Diese Forderung richten Sie an den Praxis- oder Krankenhausträger, für den der HNO Arzt bzw. Chirurg, der bei Ihnen die Schilddrüsen OP durchgeführt hat, arbeitet. Als Patient haben nach einer Schilddrüsenoperation das Recht auf Einsicht in die vollständigen Behandlungsunterlagen, zu denen freilich auch alle Röntgenbilder gehören (LG Dortmund, Urteil vom 03.05.2012, 4 O 195/09).
- Prüfen Sie nach dem Empfang die Unterlagen auf Vollständigkeit. OP Bericht, Aufklärungsbogen, Aufnahmebogen und Sonographiebefund sollten enthalten sein.
- Soweit Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, erbitten Sie bei der Versicherung oder über Ihren Versicherungsmakler telefonisch die Deckungszusage für eine rechtliche Beratung. Die meisten Rechtsschutzversicherungen decken arzthaftungsrechtliche Auseinandersetzungen mit ab.
- Danach sollten Sie das Behandlungsgeschehen anhand der vorliegenden Patientenakte mit einem auf Arzthaftung und mit Schilddrüsen OP Verfahren betrauten Patientenanwalt bewerten. Entspricht der Aufklärungsbogen den medizinischen Anforderungen? Ist der OP Bericht im Hinblick auf Darstellung oder Nichtdarstellung des Nervus laryngeus recurrens und hinsichtlich des Neuromonitorings nachvollziehbar?
- Erhärtet sich nun Ihr Verdacht hinsichtlich eines Behandlungsfehlers, sollten Sie sich mit dem Behandler, respektive Krankenhausträger und dessen Haftpflichtversicherung in Verbindung setzen. Fordern Sie unter Setzung einer angemessenen Frist die Zahlung des mithilfe Ihres Patientenanwalts ermittelten Betrages aus Schadensersatz und Schmerzensgeld.
- Verstreicht die Frist erfolglos, dann können Sie Klage erheben. Der Forderungsbetrag wird regelmäßig über 5.000€ liegen. Insoweit ist für Ihre Klage das Landgericht zuständig. Vor selbigem müssen Sie sich dann von einem Anwalt vertreten lassen.