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Der von vielen Juristen massiv kritisierte § 522 Abs. 2 ZPO ermöglicht dem Berufungsgericht eine Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. Die Vorschrift soll die Gerichte entlasten. Dem Interesse der Berufungsführer dient die „Ökonomiebestimmung“ selten. Kritiker schelten die Vorschrift mit harschen Worten, weil sie das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG auf „Rechtliches Gehör“ verletze. Das OLG Celle macht in einem aktuellen Arzthaftungsprozess Gebrauch von § 522 Abs. 2 ZPO.
Verhandlung… Nein danke!
Der Gesetzgeber hat allerdings klare Vorstellungen davon, wann ein Gericht eine Berufung ohne Verhandlung zurückweisen darf und wann nicht. In der Beschlussempfehlung zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung ist nach § 522 Abs. 2 ZPO dann nicht zu verfahren, wenn die Rechtsangelegenheit für den Berufungsführer existenzielle Bedeutung hat. Der Gesetzgeber nennt hier ausdrücklich Arzthaftungssachen als Beispiel.
Die Fälle, in denen eine mündliche Verhandlung der prozessualen Fairness entspricht, sollten dem Ermessen des Berufungsgerichts entzogen bleiben. Dadurch wird gewährleistet, dass ohne Ansehung der Erfolgsaussichten und der grundsätzlichen Bedeutung der Sache stets mündlich verhandelt wird, wenn die Rechtsverfolgung für den Berufungsführer existenzielle Bedeutung hat, wie es etwa in Arzthaftungssachen der Fall sein kann, oder wenn das Urteil erster Instanz zwar im Ergebnis richtig aber unzutreffend begründet ist.
BT-Drucks. 17/6406 Seite 9
Oberlandesgericht Celle – nicht das erste mal
Schelte erhielt das OLG Celle schon im Jahre 2015 vom Bundesgerichtshof für seinen allzu freizügigen Gebrauch im Umgang mit § 522 Abs. 2 ZPO in einem Arzthaftungsverfahren. Mit Beschluss vom 22.12.2015 zum Aktenzeichen VI ZR 67/15 hob der BGH kurzerhand den Beschluss des OLG Celle auf und wies die Sache wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin zurück an das Berufungsgericht.
Auch schon vor der Berufungsreform machten Entscheidungen des OLG Celle in der Anwaltschaft die Runde. In Erinnerung gerufen sei etwa, dass das OLG Celle im Jahre 2009, eine Berufung in einem Verfahren als unzulässig abwies, in welchem die Berufungsschrift ein falsches Aktenzeichen auswies (OLG Celle, Urteil vom 29.05.2009,14 U 76/09).
Prozessökonomie im einstimmigen Beschluss
In dem aktuellen Verfahren fühlt sich das OLG Celle wiederum berufen, von § 522 Abs. 2 ZPO Gebrauch zu machen und die Berufung gegen das Urteil des LG Bückeburg ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen.
Auszugsweise heißt es in dem Beschluss des Oberlandesgericht Celle:
[…] Der Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 522 Abs. 2 ZPO ist zutreffend, gerade im Hinblick auf die beispielhaft und sogar regelmäßig vorgesehene mündliche Verhandlung in Arzthaftungssachen, wie dem Senat aus jahrelanger Praxis des ausschließlich mit diesem Rechtsgebiet befassten Spruchkörpers hinlänglich bekannt ist. Gleichwohl gilt dies nicht ausnahmslos und bedarf einer Abwägung mit anderen Interessen, nämlich denjenigen des Prozessgegners auf zügige Beendigung eines Verfahrens, wenn die gegen ihn gerichteten Ansprüche unbegründet sind. Die Verfahrenswahl hängt zudem mit der Terminslage der Spruchkörper zusammen, diese wiederum mit den besonderen Vorsichtsmaßnahmen, die mit der Durchführung von mündlichen Verhandlungen in der Zeit der Corona-Pandemie geboten sind, und der Abwägung mit dem Risiko, das mit jedem Zusammentreffen von Personen im selben Raum gegeben ist. Diese Abwägung ergibt, dass hier ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO entgegen der Einschätzung der Klägerin statthaft ist. […] Ein besonderer Grund der Anhörung der Klägerin selbst – was der Senat in vielen Fällen für notwendig oder zumindest auch förderlich hält, um nochmals die Kommunikation zwischen Sachverständigen und Betroffenen zu ermöglichen – besteht hier nicht. […]
OLG Celle, Beschluss vom 19.06.2020, 1 U 24/20
Erst auf den ausdrücklichen Einwand der Klägerin unter Bezugnahme auf den Wille des Gesetzgebers lässt das OLG Celle die vorstehende knappe Auseinandersetzung mit den Maßgaben des § 522 Abs. 2 ZPO folgen.
- Der Senatsbeschluss berücksichtigt im Rahmen einer Interessenabwägung folglich ein Interesse des Arztes auf zügige Verfahrensbeendigung. Ich will meinen, dass eine zeitnahe Terminierung diesem Interesse gewiss auch entsprochen hätte.
- Sodann wird die Corona Pandemie vom Senat als Argument ins Spiel gebracht. Man habe das erhöhte Risiko der Ansteckung beim Zusammentreffen von mehreren Personen im selben Raum berücksichtigt. Weshalb der Spruchkörper hier nicht (wie zahlreiche andere Gerichte im Bundesgebiet) wenigstens Gebrauch von einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung, die § 128a ZPO explizit vorsieht, erschließt sich nicht.