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Verletzung eines Patienten durch Sturz im Krankenhaus
Da wir uns in dem noch recht jungen Jahr 2013 bereits wiederholt mit Fragestellungen zur Haftung beim Sturz im Krankenhaus konfrontiert sahen, möchte ich diesem Thema einen Kurzbeitrag widmen. Die grundsätzliche Frage, die bei der haftungsrechtlichen Verantwortung eines Krankenhausträgers für den Sturz eines Patienten im Krankenhausgebäude stets gestellt werden muss, ist ob der Krankenhausträger seiner Obhutspflicht gegenüber dem Patienten, welche sich zum einen aus dem Behandlungsvertrag und zum anderen aus haftungsrechtlichen gesetzlichen Bestimmungen ergeben.
Update 13.09.2017
Ergänzungen und Anpassungen des Abschnitts „Ausschluss der Krankenhausträgerhaftung beim Forderungsübergang“
Verletzung der Obhutspflichten beim Sturz im Krankenhaus
Ob ein Krankenhausträger seine Obhutspflichten verletzt hat, muss in jedem Einzelfall gesondert bestimmt werden. Denn der Umfang der konkreten Obhutspflicht richtet sich ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls. Dies ist darin begründet, dass es beim Sturz eines Patienten innerhalb des Krankenhauses zwar mitunter vergleichbare Fallgestaltungen geben mag, diese sich jedoch regelmäßig im Hinblick auf die unfallrelevanten Begleitfaktoren unterscheiden. Zu diesen zu bewertenden Umständen zählen etwa:
- der Allgemeinzustand und die körperliche Konstitution des Patienten,
- Bekleidung (etwa die Fußbekleidung) des Patienten,
- die Bekanntmachung von patientenbedingten Sturzrisikofaktoren gegenüber dem Krankenhaus,
- die räumlichen Begebenheiten und Ausstattungsmerkmale an der Sturzstelle im Krankenhaus (etwa Bodenbelag, Lichtverhältnisse, Haltegriffe, Bettgitter, Feststellbremsen),
- die Art und Dauer der Aktivitäten/Passivität des Patienten vor dem Sturz,
- ob der Patient bei/unmittelbar vor dem Sturz in Begleitung von Krankenhauspersonal war,
- ob der Patient vor dem Sturz Medikamente einnahm,
- ob der Patient auf Hilfsmittel (z.B. Rollator, Toilettenstuhl) angewiesen war,
- die weiteren Umstände des Hergangs des Sturzes.
Erhöhte Obhutspflichten des Krankenhausträgers
So gilt etwa eine erhöhte Obhutspflicht, wenn es Anhaltspunkte für ein besonderes Sturzrisiko des Patienten gibt. Ein 80-jähriger übergewichtiger Patient, der beispielsweise unter den Nachwirkungen einer Anästhesie steht, stürzt freilich eher, als sein 20-jähriges empfindungsungehemmtes Pendant.
Festzuhalten ist insoweit, dass sich aus dem Behandlungsvertrag Fürsorge- und Obhutspflichten ergeben, die dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Patienten dienen. Die Verletzung dieser Pflichten führt zu Schadensersatzansprüchen des Patienten gegenüber dem Krankenhausträger. Diesem kann eine Haftung für organisatorische Mängel und für das Fehlverhalten seiner Angestellten zufallen.
Darüber hinaus besteht auch eine Verkehrssicherungspflicht aus dem Deliktsrecht, die den Krakenhausträger und Ärzte anhalten, etwaige Gefahrenquellen für die Patienten zu vermeiden und/oder zu beseitigen.
Darlegungs- und Beweislastumkehr für den Patienten bei voll beherrschbaren Risiken
Manifestieren sich bei einem Sturz im Krankenhaus Risiken aus dem Krankenhausbetrieb, welche unter einer sorgsamen Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens eigentlich voll beherrschbar erscheinen, so kann dies zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten führen.
Beweislast – was ist das eigentlich?
Was bedeutet Beweislastumkehr? Nun, das Krankenhaus muss dann seinerseits beweisen, dass es trotz des Verstoßes gegen die ihm obliegenden Obhutspflichten an einem Verschulden des Krankenhausträgers fehlt.
Die Darlegungs- und Beweislastumkehr basiert auf den Gedanken der gesetzlichen Bestimmung aus § 280 Abs. 1 BGB. Dieser Paragraf legt fest, dass wenn ein Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen kann. Dies gilt nach § 280 Abs. 1 BGB aber nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Diese doppelte Negierung lässt das Verschulden des Schädigers gesetzlich vermuten. Daher ist die Beweislastumkehr im Falle des voll beherrschbaren Risikos im Klinikbetrieb eröffnet.
Der Bundesgerichtshof führt mit Urteil vom 20.03.2007 zum Aktenzeichen VI ZR 158/06 insoweit aus:
Anders als im Bereich des ärztlichen Handelns, in dem grundsätzlich der Patient die Darlegungs- und Beweislast für einen von ihm behaupteten Behandlungsfehler sowie dessen Ursächlichkeit für den eingetretenen Gesundheitsschaden trägt […], kommt bei der Verwirklichung von Risiken, die nicht vorrangig aus den Eigenheiten des menschlichen Organismus erwachsen, sondern durch den Klinikbetrieb oder die Arztpraxis gesetzt und durch sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens objektiv voll beherrscht werden können, der Rechtsgedanke des […] § 282 BGB a.F. [nunmehr § 280 Absatz 1 Satz 2 BGB] zum Tragen, wonach die Darlegungs- und Beweislast für Verschuldensfreiheit bei der Behandlungsseite liegt.
Müssen Sturzfallen für Arzt und Einrichtung erkennbar sein?
Der Bundesgerichtshof hat auch herausgestellt, dass die Erkennbarkeit der Gefahr oder des Schadenseintritts keine Grundvoraussetzung für die Eröffnung der Beweislastumkehr ist.
Der BGH stellt heraus:
Die Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf die Behandlungsseite in Anwendung des Rechtsgedankens des § 282 BGB a.F. setzt nämlich nicht voraus, dass die aus dem Klinikbetrieb oder der Arztpraxis stammende objektiv gegebene Gefahr für die Behandlungsseite im konkreten Fall erkennbar war. Steht wie im Streitfall fest, dass sich ein aus diesem Bereich stammendes objektiv voll beherrschbares Risiko verwirklicht hat, ist es vielmehr Sache des Arztes oder des Klinikträgers darzulegen und zu beweisen, dass es hinsichtlich des objektiv gegebenen Pflichtenverstoßes an einem Verschulden der Behandlungsseite fehlt […]. So hat der erkennende Senat z.B. dem Krankenhausträger und seinen Ärzten die Beweislast für die Gewähr einwandfreier Voraussetzungen für eine sachgemäße und gefahrlose Behandlung zugewiesen, wenn es etwa um Fragen ging wie […] die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit […]. Dasselbe gilt für […] die richtige Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch (Senatsurt. vom 24. 1. 1984 – VI ZR 203/82 – VersR 1984, VERSR Jahr 1984 Seite 386, VERSR Jahr 1984 Seite 387). All diesen Fällen ist gemeinsam, dass objektiv eine Gefahr bestand, deren Quelle jeweils festgestellt werden konnte und die deshalb objektiv beherrschbar war.
Vorgehen bei der Vermutung der Verletzung der Obhutspflicht beim Sturz im Krankenhaus
Beim Verdacht einer Obhutspflichtverletzung sollte der durch den Sturz geschädigte Patient umgehend einen mit dieser Thematik betrauten Rechtsanwalt aufsuchen. Bei der Bewertung des zugrunde liegenden Sachverhalts und der Rechtslage kommt den Behandlungsunterlagen mitsamt der Auswertung des Sturzprotokolls sowie auch etwaigen Einlassungen anderer Patienten oder Angehöriger, die den Hergang beobachtet haben und die in einem etwaigen Verfahren als Zeugen fungieren können, eine tragende Bedeutung zu. Im Falle einer begründeten Obhutspflichtverletzung können dem Patienten Ansprüche auf Schadensersatz, Aufwendungsersatz oder Schmerzensgeld zustehen.
Pflicht zur Kostenerstattung
Das bedeutet auch, dass das Sturzopfer gegenüber dem Krankenhausträger in begründeten Fällen einen Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten (die im Rahmen der außergerichtlichen Inanspruchnahme der Einrichtung entstehen) hat. Über die Kosten im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und der jweiligen Einrichtung entscheidet in der regel der Ausgang des Gerichtsverfahrens.
Ausschluss der Krankenhausträgerhaftung beim Forderungsübergang
Allerdings gilt es zu beachten, dass nicht immer der Krankenhausträger in Haftung genommen werden kann. Dies gilt jedenfalls dann nicht, wenn der Sturz im Krankenhaus als Arbeitsunfall zu qualifizieren wäre. Denn dann findet gem. §§ 104 und 105 SGB VII (nicht zu verwechseln mit dem Forderungsübergang des Kostenträgers gegen den Schädiger aus § 116 SGB X, der sich auf den Übergang ärztlicher Behandlungskosten und weiterer gesetzlicher Ansprüche, für welche eine entsprechende Eintrittspflicht des Kostenträgers besteht, beschränkt) ein Forderungsübergang auf die Unfallversicherungsträger statt. Dies kommt beim Sturz des Patienten im Krankenhaus keinesfalls selten vor.
Denn nach § 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII unterstehen alle Personen, die auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten, dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der betroffene Patient hat in den vorstehenden Fällen ausschließlich Ansprüche gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger des Krankenhausträgers. Für gewöhnlich sind die Ansprüche in diesen Fallkonstellationen gegenüber der Verwaltungsberufsgenossenschaft anzumelden.
Verkompliziert wird dieser Umstand allerdings wiederrum durch einige Ausnahmen. Der sozialgesetzlich fixierte Forderungsübergang greift nämlich dann nicht, soweit der Sturz vorrangig auf einen ärztlichen Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Ferner muss der Krankenhausträger (und nicht die Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung) weiterhin dann in Haftung genommen werden, wenn der Sturz des Patienten als Folge des behandelten Leidens selbst anzusehen ist (vgl. Jan Giesbert in Deutsches Ärzteblatt 2007; 104(50): A-3471 / B-3053 / C-2950).
Prozesstaktiken des Einrichtungsträgers
Nicht selten taktieren Krankenhausträger, indem sie im laufenden Zivilprozess den Sturzes als Unfall gegenüber der Berufsgenossenschaft anzeigen. Dies führt regelmäßig dazu, dass das angerufene Zivilgericht das Verfahren zunächst aussetzt, bis geklärt ist, ob nicht die Berufsgenossenschaft einstandspflichtig wäre (der Sturz also als ein Arbeitsunfall zu qualifizieren ist). Daneben gibt es weitere „Eingaben“ und „Finessen“, die von den Rechtsabteilungen der Einrichtungsträger gerne genutzt werden, um Verfahrensabschlüsse hinauszuzögern.
Der sorgsame Patientenanwalt sollte den Patienten auf diese Umstände vorbereiten. Zudem wird sich ein Krankenhausträger, der allein aus prozesstaktischen Gründen eine frühstmögliche Meldung des Geschehens gegenüber der Berufsgenossenschaft unterlässt und den Patienten hierüber in Kenntnis setzt, sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, unnötige zivilgerichtliche Kosten forciert zu haben und insoweit einer Regresspflicht zu unterfallen. Dies gilt insbesondere, wenn der Krankenhausträger außergerichtlich umfassend über die Umstände des Sturzes in Kenntnis gesetzt wurde.