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Sie haben Ihren Bescheid von Ihrer Stadt oder Ihrem Kreis erhalten und der von Ihnen beantragte Grad der Behinderung wurde nicht bewilligt? Sie spielen mit dem Gedanken, Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen? Der nachstehende Artikel erklärt, wie sich der GdB berechnet.
Die Auswirkungen, die bestimmte Beeinträchtigungen auf das Leben haben können, divergieren stark und lassen sich nur sehr schwer pauschalisieren. Es gibt jedoch eine Einheit, die genau diese Auswirkungen zu messen versucht: der „Grad der Behinderung“. Für Betroffenen ist die Zuordnung eines bestimmten Wertes mit weitreichenden Konsequenzen verbunden, mithin sehr wichtig. Die zugrundeliegenden Verfahren und medizinischen Entscheidungen sind jedoch wenig transparent und stark einzelfallbezogen.
Trotzdem gibt es einige Grundsätze und Erfahrungsschätze, an denen sich Betroffene orientieren können. Diese sollen Gegenstand des folgenden Beitrages sein. Wie der (im besten Fall erfolgreiche) Weg zum gewünschten Bescheid verläuft. Und wieso im Sozialrecht nicht automatisch gilt: „20 + 20 = 40“.
Hat die Stadt meinen GdB zu niedrig festgesetzt?
Der „Grad der Behinderung“ soll bewerten, welche Auswirkungen eine bestimmte Behinderung auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben hat. Dabei werden geistige, seelische, körperliche und soziale Auswirkungen berücksichtigt. Maßgeblich ist dementsprechend auch immer die konkrete Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Es kommt also nicht auf das Bestehen einer Krankheit oder die Diagnose an sich an, sondern darauf, ob und wie man durch die Krankheit in seinem alltäglichen Leben im Vergleich zu einem gesunden Menschen eingeschränkt ist.
Gemessen wird der GdB in Zehnerschritten von 20 bis 100. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Wert 50 zu. Menschen sind nämlich nach § 2 Abs. 1 und 2 SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegt und wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Für Betroffene hat die Einordnung als „schwerbehindert“ durchaus weitreichende Vorteile.
Es besteht schließlich ein Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis, der Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen ist. Darunter fallen etwa ein besonderer arbeitsrechtlicher Kündigungsschutz, ein Anspruch auf Zusatzurlaub, Vergünstigungen bei der Besteuerung des Einkommens, eine unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr und der Erhalt des Euroschlüssels.
Verfahren der Berechnung des GdB und Feststellung
Wer nun aus einem der genannten Gründe seinen persönlichen GdB festgestellt haben möchte, stellt zunächst einen Erstfeststellungsantrag beim Kreis oder Ihrer Stadt (soweit es sich um eine kreisfreie Stadt handelt) – sofern es bisher noch zu keiner Feststellung des GdB gekommen ist. Ist der GdB in der Vergangenheit bereits ermittelt worden, wird dagegen ein sogenannter Neufeststellungsantrag gestellt. In der Folge nimmt die Stadt Kontakt auf mit den behandelnden Ärzten, Krankenhäusern und Rehakliniken des Betroffenen, um den genauen medizinischen Sachverhalt zu ermitteln.
Zu diesem Zweck werden Befund- und Entlassungsberichte angefordert. Diese schickt das Amt nach Erhalt zum (hauseigenen) ärztlichen Dienst. Dieser sichtet die vorhandenen Unterlagen und gibt anhand der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung – auf die im weiteren Verlauf noch speziell eingegangen wird – in einer gutachterlichen Stellungnahme an den Kreis oder die Stadt eine Empfehlung ab, welcher GdB bescheinigt werden sollte bzw. könnte. Anhand dieser Empfehlung erlässt das Amt schließlich den Feststellungsbescheid.
Orientierungshilfen und Beispiele
Noch bevor ein solcher Antrag gestellt wird, können die Rechtsprechungsgrundsätze der Landessozialgerichte und vor allem die bereits angesprochene Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung als erste grobe Orientierung dienen bezüglich der Frage, welcher GdB realistisch zu erwarten ist. Zur besseren Übersicht sollen auch an dieser Stelle einige Beispiele genannt sein. Die nachstehenden GdB-Sätze sind jedoch lediglich Anhaltswerte. Es ist also unerlässlich, alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet in jedem Einzelfall zu berücksichtigen. Die vorzufindenden Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung.
- Wirbelsäulensyndrom, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei der drei Wirbelsäulenabschnitten (HWS, BWS, LWS) vorliegen: GdB von 30 bis 40 (Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 24.01.2014, L 8 SB 2497/11)
- Parkinson-Syndrom: Am Beispiel des Parkinson-Syndroms wird sehr deutlich, wie einzelfallabhängig die Bildung des GdB ist. Eine pauschale Angabe ist bei solchen Beeinträchtigungen nicht möglich. Handelt es sich um „nur“ geringe Störungen der Bewegungsabläufe ohne Gleichgewichtsstörungen und mit einer nur geringen Verlangsamung, ist ein GdB von 30 bis 40 zu erwarten. Ein Wert von 50-70 ist dagegen bei deutlichen Störungen der Bewegungsabläufe mit Gleichgewichtsstörungen, Unsicherheiten beim Umdrehen und stärkerer Verlangsamung realistisch. Eine schwere Störung der Bewegungsabläufe bis hin zur Immobilität kann gar einen GdB von 80 bis 100 bedeuten.
- Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk mittleren Grades, d.h. Streckung/Beugung 0-10-90: 20 (einseitig) bzw. 40 (beidseitig)
- Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage: 30-40
Einen Link zu der sehr umfassenden Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung finden Sie hier.
Bildung des Gesamt-GdB bei mehreren Behinderungen
In der Praxis liegen häufig jedoch nicht nur einzelne, sondern gleich mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor. Dann ist ein Gesamt-GdB zu bilden. Hinsichtlich dieser Gesamtbewertung mehrerer einzelner Behinderungen gelten Sonderregeln.
Nach Maßgabe des § 152 Abs. 3 SGB IX wird in diesem Fall bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Ausgangspunkt bei der Bildung des Gesamt-GdB ist diejenige Funktionsstörung, die den höchsten Einzelwert hat. Man spricht auch von der sog. „führenden Behinderung“. Darauf aufbauend ist im Hinblick auf die weiter vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit sich hierdurch das Ausmaß der Behinderung vergrößert. Zentrale Streitfrage ist also stets, wie sich die verschiedenen Einschränkungen zueinander verhalten.
- Denkbar ist beispielsweise, dass sich die Beeinträchtigungen in Bezug auf ihre Auswirkungen weitgehend überschneiden und den gleichen Bereich tangieren, sodass eine Wechselwirkung lediglich unwesentlich oder gänzlich zu verneinen ist. So liegt es etwa bei parallel auftretenden Herz- und Lungenerkrankungen, die sich jeweils auf die Leistungsfähigkeit des Betroffenen auswirken.
- Auf der anderen Seite können sich einzelne Beeinträchtigungen auch gegenseitig verstärken. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn zu einer Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks eine Versteifung des linken Handgelenks hinzutritt. Denn wer bereits den rechten Arm nicht mehr zum Tragen und Heben benutzen kann, sollte zumindest die linke Hand „freihaben“.
Eine Besonderheit gilt jedoch für leichte Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 10. Diese führen grundsätzlich nicht zu einer Verstärkung der Gesamtbeeinträchtigung. Es ist also nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil des BSG vom 20.04.2015, B 9 SB 98/14 B) denkbar, dass viele Einzelwerte von 10 gegeben sind, die alle bei der Bildung des Gesamt-GdB außer Acht zu lassen sind.
Letztendlich erfolgt die Gesamtbetrachtung aller Einzelbeeinträchtigungen stark einzelfallbezogen, wobei auch allgemeine Erfahrungssätze berücksichtigt werden können.
Wichtig: Eine Addition der einzelnen Werte findet nicht statt. Bei drei Behinderungen mit Einzel-GdB von 30, 20 und 20 ist dementsprechend nicht automatisch ein Gesamt-GdB von 70 gegeben. Allerdings kann ein GdB von 50 angemessen sein, wenn sich die Auswirkungen der Behinderungen untereinander negativ verstärken (Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.04.2016, L 13 SB 228/14). Auch andere Rechenmodelle sind nach Ansicht des Bundessozialgerichts unzulässig.
Praxistipp: Rechtsschutz gegen den falschen Feststellungsbescheid
Wenn der Erstfeststellungs- bzw. Neufeststellungsantrag abgelehnt oder der GdB aus Sicht des Betroffenen zu niedrig angesetzt wird, kann gegen den Bescheid Rechtsschutz begehrt werden.
- Zunächst sollte gegen den Feststellungsbescheid Widerspruch eingelegt werden. Dafür gilt eine Frist von vier Wochen ab Erhalt des Bescheides.
- Zugleich sollten Sie – noch vor der ausufernden Begründung des Widerspruchs – Akteneinsicht beantragen, damit Sie wissen, worauf sich die Stadt / der Kreis bei einer Bewertung konkret stützt und welche Befunderhebungen eine Berücksichtigung bei der Entscheidung gespielt haben. Die Akteneinsicht sollte in Form einer Überlassung von Kopien der entscheidungserheblichen Befunde und Arztberichte aus der Akte beantragt werden.
- Sinnvoll, aber nicht zwingend ist es, den Widerspruch – im besten Fall unter Heranziehung des behandelnden Arztes – zu begründen. Der Fokus sollte dabei auf die Auswirkungen und Folgen der eigenen Erkrankung gelegt werden. Sie können hierzu auch einen Rechtsanwalt konsultieren. Bedenken Sie aber, dass die Kosten für diese Tätigkeit grundsätzlich nicht von Ihrer Rechtsschutzversicherung übernommen werden.
Wenig hilfreich ist es, im Widerspruch nur Befunde und Diagnosen aufzuzählen. Denn wie dargestellt, ist für den GdB nicht entscheidend, dass eine bestimmte Krankheit festgestellt wurde, sondern wie sich diese Krankheit auf Ihr Leben auswirkt. Dementsprechend müssen auch nicht zwangsläufig medizinische Fachbegriffe genannt werden. Vielmehr sollte ausführlich und in eigenen Worten geschildert werden, in Form welcher Einschränkungen und Beeinträchtigungen sich die Krankheit konkret bemerkbar macht.
Über den eingereichten Widerspruch entscheidet erneut die Stadt bzw. der Kreis. Diese erlässt in der Folge je nach Erfolg des Einwands einen Abhilfebescheid bei Begründetheit des Widerspruchs, einen Teilabhilfebescheid bei teilweiser Begründetheit oder einen Widerspruchsbescheid mit dem gleichen Ergebnis wie zuvor bei Unbegründetheit.
Entspricht auch dieser Bescheid noch nicht den eigenen Vorstellungen, kann Klage beim zuständigen Sozialgericht erhoben werden. Die Kosten für einen Rechtsanwalt im Rahmen der Klage werden i. d. R. von den Rechtsschutzversicherungen übernommen.