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Kann ich meine Stadt, Gemeinde oder den Landkreis (als Gesundheitsamt) verklagen, wenn diese (bzw. dieser) zu nachlässig mit dem Coronavirus umgegangen ist und die behördliche Nachlässigkeit zu einem immens erhöhten Ansteckungsrisiko geführt hat, wodurch ich im Zusammenhang mit diesem Geschehen am Coronavirus erkrankt bin?
Behörde ignoriert Ansteckungsgefahr durch Coronavirus
Spätestens im ersten Quartal des laufenden Jahres 2020 war jedem Bürger bewusst, dass das Coronavirus die Weltgesundheit nachhaltig beeinträchtigt. Zum Schutz der Allgemeinheit und zum Schutze eines jeden einzelnen Menschen haben Behörden in Deutschland alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die vom Coronavirus ausgehenden Gefahren von der Bevölkerung abzuwenden. Hoheitlich angeordnete freiheitsbeschränkende Maßnahmen sowie der Erlass von Ordnungsmaßnahmen sind vorrangige Mittel der Gefahrenabwehr.
Doch einige Behörden haben auf die vom Coronavirus ausgehenden Gefahren falsch reagiert. Nicht wenige Menschen kritisieren etwa den laxen Umgang der tiroler Behörden mit COVID-19 in Ischgl, wo Urlauber noch bis in die zweite Märzwoche hinein unbeschwert feiern und Skifahren dürfen, obgleich bereits zu diesem Zeitpunkt die Gefahren der Pandemie hinreichend bekannt sind.
Wir wagen einen Blick in die deutschen Gesetzeswerke. Wie ist der Umgang mit dem Coronavirus in Deutschland geregelt?
Werden Tatsachen festgestellt, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder ist anzunehmen, dass solche Tatsachen vorliegen, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren.
§ 16 Abs. 1 IfSG
Wie die Umsetzung entsprechender Maßnahmen aussieht, durften die Bundesbürger bereits vor einigen Wochen erfahren. Freiheitsbeschränkende Allgemeinverfügungen werden erlassen und Ordnungsmaßnahmen angeordnet.
Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt […], so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen […].
§ 28 IfSG (Infektionsschutzgesetz)
Welche Behörde ist zuständig für die Abwehr der Gefahren durch das Coronavirus?
Nach § 16 Abs. 6 IfSG sowie § 28 Abs. 1 IfSG werden die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit durch das Coronavirus drohenden Gefahren auf Vorschlag des Gesundheitsamtes von der zuständigen Behörde angeordnet.
Nach § 2 Abs. 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz (IfSBG-NRW) bzw. § 3 IfSBG-NRW sind in Nordrhein-Westfalen die Städte und Gemeinden als örtliche Ordnungsbehörden die zuständigen Behörden in diesem Sinne. Übertragen auf die örtliche Region unseres Kanzleisitzes ist die Stadt Minden die zuständige Behörde zur Abwehr der durch das Coronavirus drohenden Gefahren.
Kann die Stadt den Vorschlag des Gesundheitsamtes (dies ist in unserer Region der Kreis Minden-Lübbecke) über notwendige Gefahrenabwehrmaßnahmen nicht rechtzeitig einholen und strengt die Stadt insoweit eigenständig eine Maßnahme an, so hat sie den Kreis über die getroffene Maßnahme unverzüglich zu unterrichten, § 16 Abs. 6 S. 2 IfSG.
Ausnahmesituation: Gefahr im Verzug
Bei Gefahr im Verzug, greift das Gesundheitsamt selbst ein und ordnet seinerseits die erforderlichen Maßnahmen eigenständig an. Gefahr im Verzug ist anzunehmen, wenn durch die Unterrichtung der Stadt durch den Landkreis über die Vorgehensvorschläge und die entsprechende Umsetzung derselben durch die Stadt, auch bei Gewährung kürzester Kommunikationswege ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die behördliche Maßnahme (z. B. eine Anordnung zur Absonderung) zu spät käme, um ihren Zweck (den Schutz vor Ansteckungen) noch zu erreichen.
Im Nachgang unterrichtet dann das Gesundheitsamt die Stadt von den getroffenen Maßnahmen. Die Stadt (oder Gemeinde) kann sodann die Anordnung des Gesundheitsamtes ändern oder aufheben. Allerdings bleibt der Stadt zur Aufhebung der Maßnahme nur ein Zeitrahmen von zwei Arbeitstagen (nach der Unterrichtung), andernfalls muss sich die Stadt so behandeln lassen, als hätte sie selbst die Maßnahme getroffen.
Das Gesetz setzt folglich eine reibungslose Kommunikation zwischen den Behörden voraus, um Kollektiventscheidungen (und gerade keine Alleingänge) im Vorfeld weitreichender Maßnahmen herbeizuführen. Eine wechselseitige „Kontrolle“ ist in Krisenfragen erwünscht. Erfolgt aber kein kommunikativer Austausch zwischen den Behörden, dann kann dies durchaus Folgen für die kommunale Gesundheit bedeuten.
Am Coronavirus erkrankt: Kann ich die Behörde verklagen?
Haben auch Sie sich mit dem Coronavirus infiziert oder haben Sie nach der Rückkehr aus dem Urlaub eine Quarantäneanordnung erhalten und konnten deshalb nicht Ihrer Arbeit nachgehen oder haben Sie einen sonstigen Gesundheits- oder Vermögensschaden erlitten, weil die zuständigen Behörden nicht schnell genug gehandelt haben? Dann wächst oftmals der Wunsch, den Verantwortlichen in Anspruch zu nehmen.
Nach deutschem Recht kann man nicht direkt gegen die falsch handelnde bzw. untätig gebliebene Behörde (z. B. den Bürgermeister) klagen. Das liegt daran, dass in Deutschland das Rechtsträgerprinzip gilt. Die zuständige Behörde erlässt zwar den Verwaltungsakt (also etwa die Allgemeinverfügung zum Schutz vor der Ansteckung mit dem Coronavirus). Allerdings handelt die Behörde insoweit als rechtlich unselbständige Verwaltungseinheit.
Die Klage muss vielmehr gegen den Rechtsträger dieser Behörde gerichtet werden. Verklagt werden muss damit grundsätzlich die Körperschaft, der die Behörde angehört. Da Sie sich gegen einen Verwaltungsakt wenden, der von einer kommunalen Gebietskörperschaft erlassen worden ist, haben Sie die Klage gegen diese Gebietskörperschaft zu richten. Im Regelfall ist das die zuständige Stadt. In welchen Fällen ausnahmsweise der Landkreis der Klagegegner ist, wird im folgenden Abschnitt geklärt.
Klage gegen eine unzureichende behördliche Allgemeinverfügung
Einfach ist der Fall, wenn Ihre Stadt eine Allgemeinverfügung erlassen hat, gegen die Sie vorgehen wollen. In diesem Fall steht bereits in der Verfügung eine Rechtsbehelfsbelehrung. Diese lautet etwa:
„Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage erhoben werden. Die Klage ist beim Verwaltungsgericht Minden (Königswall 8, 32423 Minden oder Postfach 3240, 32389 Minden) schriftlich oder dort zur Niederschrift des Urkundenbeamten der Geschäftsstelle oder durch Übertragung eines elektronischen Dokuments nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung –ERVV) vom 24.11.2017 (BGBI. S. 3803) einzureichen. […] Die Klage ist gegen die oben bezeichnete Behörde zu richten und muss den Kläger, Beklagten und Gegenstand des Klagebegehrens benennen. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten. Die zur Klagebegründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben und der angefochtene Bescheid in Abschrift beigefügt werden. Falls die Frist durch das Verschulden eines von Ihnen Bevollmächtigten versäumt werden sollte, müsste dessen Verschulden Ihnen zugerechnet werden.“
Hier können Sie also direkt gegen die Stadt Minden klagen. Aufgrund der Bürokratieabbaugesetze I und II des Landes NRW wurde das – einer verwaltungsgerichtlichen Klage bisher vorgeschaltete – Widerspruchsverfahren abgeschafft.
Klage gegen die untätige Behörde
Selbiges gilt, wenn die Stadt gänzlich untätig bleibt oder zumindest deutlich verspätet tätig geworden ist.
Auch wenn die Behörde schlichtweg gar nicht reagiert hat oder aber viel zu spät Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus angeordnet hat, ist regelmäßig die Stadt als örtliche Ordnungsbehörde der richtige Klagegegner.
Allerdings kann in Fällen, in denen bereits Gefahr im Verzug bestand, das Gesundsheitsamt und damit der Landkreis der richtige Klagegegner sein.
Somit kennen Sie jetzt den Klagegegner. Doch mit welcher Klageart können Sie Gesundheits- oder Vermögensschäden aufgrund zu laschen Umgangs der Behörden mit dem Coronavirus ersetzt verlangen?
Der Amtshaftungsanspruch
Eine Klagemöglichkeit bietet das deutsche Recht über den aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB resultierenden Amtshaftungsanspruch. Die Haftung trifft zunächst den jeweils verantwortlichen Beamten selbst, wird aber vom Rechtsträger übernommen. Es liegt also eine Haftungsübernahme vor mit der Folge, dass anstelle des Beamten der Rechtsträger den Schaden zu ersetzen hat. Diese Konstruktion fußt auf folgender Überlegung: Der Rechtsträger stellt die Amtswalter an und hat sie zu beaufsichtigen. Der Rechtsträger verleiht ihnen überhaupt erst die hoheitlichen Möglichkeiten und Befugnisse, die zu dem schadensverursachenden Verhalten führen können. Daher bestehen auch keine Bedenken, dem Rechtsträger das rechtswidrige Verhalten seiner Beamten zuzurechnen und ihn dafür einstehen zu lassen.
Checkliste für die Klage auf Amtshaftung
Damit auch Sie die Stadt oder den Kreis auf diesem Wege in Anspruch nehmen können, müssen allerdings die folgenden Voraussetzungen vorliegen: Jemand muss in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes eine ihm gerade Ihnen gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt haben.
- Jemand nach Maßgabe des Amtshaftungsanspruchs meint jeden Beamten im haftungsrechtlichen Sinne, also jeden, der öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Darunter fallen insbesondere Beamte im staatsrechtlichen Sinn, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst sowie Personen in sonstigen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen wie Minister, Bürgermeister oder Abgeordnete. Die zuständigen Personen beispielsweise bei der Stadt oder beim Kreis fallen dementsprechend auch darunter.
- In Ausübung eines öffentlichen Amtes handeln die genannten Personen, wenn die jeweils streitgegenständliche Handlung im äußeren und inneren Zusammenhang mit der Amtsausübung erfolgt. Dies wird bei Entscheidungen in Bezug auf die Corona-Krise jederzeit anzunehmen sein.
- Außerdem müsste der ins Auge gefasste Amtswalter eine Amtspflicht verletzt haben. Amtspflicht meint grundsätzlich jede persönliche Verhaltenspflicht des Amtsträgers bezüglich seiner Amtsführung. Dabei lassen sich folgende Kategorien einteilen:
- Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip
- Pflicht zu ermessensfehlerfreier Entscheidung
- Pflicht zu beschleunigter Sachbescheidung
- Pflicht zur Erteilung vollständiger, richtiger, unmissverständlicher Auskunft
- Pflicht zur Unterlassung unerlaubter, schädigender Handlungen
Wieso die Zuordnung der Amtspflicht im zugrundeliegenden Fall der zu spät verordneten Corona-Maßnahmen nicht ohne Weiteres vorgenommen werden kann, wird im weiteren Verlauf dieses Artikels noch ausführlich beleuchtet.
- Zudem ist die Amtshaftung Verschuldenshaftung. Sie setzt demnach ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Amtswalters voraus. Die Fahrlässigkeit bestimmt sich dabei nach § 276 Abs. 2 BGB: Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei ist jedoch nicht auf den konkret handelnden Amtswalter, sondern auf den „pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten“ abzustellen. Maßgebend sind die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Führung des jeweiligen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Und genau dies dürfte wohl der Knackpunkt sein bei der Frage nach dem Bestehen von Ersatzansprüchen gegen Stadt oder Kreis in der Corona-Krise. Die Behörden können sich noch immer darauf berufen, dass es sich um eine gesundheitliche Krise bisher unbekannten Ausmaßes handelt und sie deshalb nicht auf bisherige Erfahrungssätze zurückgreifen konnten. Außerdem wurden die Entscheidungen über die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus in aller Regel in Übereinstimmung etwa mit dem Robert-Koch-Institut sowie anderen Gesundheitsbehörden und -experten getroffen. Um den Vorwurf des fahrlässigen Handelns nichtsdestotrotz begründen zu können, wird es somit besonderer Umstände bedürfen – wie etwa aus Österreich bekannt dem Ignorieren oder Missachten bereits bekannter Infektionen. Und selbst dort kann nicht sicher vorausgesagt werden, ob den zuständigen Richtern dies für die Annahme einer Amtshaftung genügt.
- Gelingt nun der Nachweis eines Verschuldens, muss die gerügte Amtspflichtverletzung zuletzt auch kausal für den bei Ihnen eingetretenen und von Ihnen geltend gemachten Schaden sein. Es ist zu prüfen, wie die Entwicklung bei pflichtgemäßem Handeln des Amtsträgers verlaufen wäre und wie sich Ihre Vermögenslage in diesem Fall darstellen würde. Die Frage ist also:
- Beruht Ihr Schaden tatsächlich kausal auf dem verspäteten Handeln der Behörden?
- Oder hätten Sie sich auch bei sofortigem Handeln infiziert bzw. wären Sie auch dann in Quarantäne geschickt worden?
Liegen diese Voraussetzungen vor, können Sie – unter dem Vorliegen weitergehender Voraussetzungen – sowohl Schadensersatz (Verdienstausfall, Arzt- oder Pflegekosten etc.) als auch Schmerzensgeld ersetzt verlangen.
Kann eine Amtspflicht auch durch Unterlassen verletzt werden?
Die bereits kurz angedeutete Besonderheit liegt hier jedoch darin, dass nicht an ein aktives Tun der zuständigen Behörden angeknüpft wird, sondern an ein Unterlassen. Schließlich geht der Vorwurf in den meisten Fällen dahin, dass nicht rechtzeitig auf die bereits bekannten Infektionen reagiert wurde.
Ein Unterlassen ist im Rahmen einer Amtshaftung allerdings nur dann erheblich, wenn eine Pflicht zum Tätigwerden, und zwar zum Tätigwerden gerade auch Ihnen als später Geschädigten gegenüber, bestand. Eine Pflicht zum Tätigwerden in Zeiten der Corona-Pandemie könnte aus der Schutzpflicht des Staates gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitet werden. Dabei handelt es sich um die Pflicht des Staates, die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter der Bürger vor Beeinträchtigungen durch private Dritte, durch nichtdeutsche staatliche Stellen oder eben durch Naturgewalten zu wahren – und dazu zählen auch Gesundheitskatastrophen.
Bei der Frage, welches Maß von Schutz erforderlich ist, billigt das Bundesverfassungsgericht jedoch dem Staat einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der gerichtlich nur in begrenztem Maße überprüfbar ist. Die staatliche Schutzpflicht ist daher mit Blick auf diese Gestaltungsfreiheit regelmäßig nur darauf gerichtet, dass die öffentliche Gewalt mögliche Vorkehrungen zum Schutz der betroffenen Grundrechte trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass Risiken nicht gänzlich vermieden werden könnten und verbleibenden Restrisiken aufgrund der begrenzten menschlichen Erkenntnisfähigkeit unvermeidbar seien und hingenommen werden müssten. Und genau dies trifft auch auf die kaum vorhersehbaren Entwicklungen in Zeiten der Corona-Krise zu. Letztlich geht es um eine Abwägung zwischen technischem und gesellschaftlichem Fortschritt und dem Schutz vor Gefährdungen und Schäden. Je hochwertiger das Schutzgut und höher das Risiko, desto eher ist eine staatliche Schutzpflicht anzunehmen.
Unter besonderen Umständen kann sich die Gestaltungsfreiheit bei wesentlichen Grundrechtsgütern in der Weise verengen, dass der Schutzpflicht ultimativ allein durch eine bestimmte Maßnahme genüge getan wird. Derartige Umstände kommen etwa in Betracht, wenn die Gefahr einer schweren Gesundheitsbeeinträchtigung droht und zudem lediglich eine bestimmte Abwehr sachgerecht ist. Darüber hinaus ist bedeutsam, ob die Grundrechtsbeeinträchtigung reparabel bzw. beherrschbar ist. Ist sie irreparabel oder unbeherrschbar, sind erhöhte Anforderungen an die Schutzverpflichtung zu stellen. Ein Unterlassen des Gesetzgebers wäre dann rechtswidrig.
Gerade in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 muss also berücksichtigt werden, dass es sich nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse um eine hoch ansteckende Krankheit handelt, die für Risikopatienten durchaus tödlich sein kann. Zudem konnten aktuell noch keine Impfstoffe zur besseren Verhinderung und Beherrschbarkeit des Virus entwickelt werden. Diese Umstände sprechen eher dafür, eine Schutzverpflichtung des Staates gerade auch zum sofortigen Ergreifen entsprechender Maßnahmen zu bejahen.
Weitere Anspruchsgrundlage: Der Aufopferungsanspruch
Neben dem geschilderten Amtshaftungsanspruch können Sie auch noch den sogenannten Aufopferungsanspruch geltend machen. Dieser Anspruch ist zwar gesetzlich nicht ausgestaltet und damit weniger umrissen als der Amtshaftungsanspruch. Es haben sich jedoch gewohnheitsrechtlich die folgenden drei Voraussetzungen herausgebildet:
- Zunächst bedarf es eines hoheitlichen Eingriffs. Anknüpfungspunkt kann auch hier neben einer hoheitlichen Maßnahme ein Unterlassen sein, soweit eine konkrete Pflicht zum Tätigwerden bestand.
- Durch diesen Eingriff muss es sodann zu einer Beeinträchtigung eines nicht vermögenswerten Rechts gekommen sein. Dazu gehören die in Art. 2 Abs. 2 GG genannten und geschützte Rechtsgüter: Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Haben Sie sich infolge behördlicher Untätigkeit tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert, sind Sie in Ihrer Gesundheit betroffen.
- Zuletzt muss der konkrete Eingriff für Sie ein Sonderopfer in Gestalt eines Vermögensschadens darstellen. Dieses Sonderopfer ist dann anzunehmen, wenn Sie als Betroffener im Vergleich zu anderen ungleich belastet werden, wenn Sie also eine anderen nicht zugemutete, die allgemeine Opfergrenze überschreitende besondere Belastung hinnehmen müssen. Ob die Gerichte ein solches bei einer Ansteckung mit dem Coronavirus als gegeben annehmen werden, ist zweifelhaft. Schließlich lehnt der Bundesgerichtshof ein Sonderopfer grundsätzlich ab, wenn durch das behördliche Handeln oder Unterlassen lediglich das allgemeine Lebensrisiko konkretisiert wird. Es ist demnach davon auszugehen, dass Städte und Kreise argumentieren werden, die Infizierung mit einem ansteckenden Virus gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko.
Die aus dem Vorliegen all der vorstehenden Voraussetzungen zur Amtshaftzng resultierende Entschädigung erfasst allerdings nur den Vermögensschaden, der durch den Eingriff in Ihre nicht vermögenswerten Rechte entstanden ist. Dazu zählen etwa Arztkosten, Pflegekosten oder der Verdienstausfall. Zahlung von Schmerzensgeld kommt dagegen anders als beim Amtshaftungsanspruch nicht in Betracht.
Kritik und Lage in Österreich
Auch in Österreich existiert der Amtshaftungsanspruch. Nicht wenige Touristen erwägen ein Vorgehen gegen die Verantwortungsträger für die Vorkommnisse aus März 2020 in Ischgl.
Aufgrund der bereits geschilderten Ereignisse in Tirol nahmen hunderte Touristen das Coronavirus mit nach Hause, sicher auch nach Deutschland. Hier musste sich der Großteil der Betroffenen nach der Rückkehr aus Tirol in eine zweiwöchige Heimquarantäne begeben. Selbstständige und Unternehmer konnten dadurch nicht arbeiten.
Damit jedoch nicht jeder Betroffene ein eigenes Verfahren anstrengen muss, versucht der Verbraucherschutzverein Wien, der die Interessen zahlreicher Geschädigter vertritt, die Nachteile der Betroffenen auszugleichen und zwar durch die Einreichung einer Sammelklage (nicht etwa gegen die örtlichen Ordnungsbehörden, sondern) gegen die Bundesbehörden, denen auch das Tiroler Gesundheitswesen untersteht.
Tipps zum Vorgehen bei der Klageerhebung
Tipp für Ischgl Touristen: Waren auch Sie Anfang März in Ischgl oder naheliegenden Ferienorten und haben sich dort mit dem Coronavirus angesteckt oder wurden nach Ihrer Heimreise in Quarantäne gesteckt, können Sie sich dem Verbraucherschutzverein in Wien für einen jährlichen Beitrag von 30 Euro anschließen, der dann Ihre Rechte über die Sammelklage vertritt. Selbst eine fehlende Rechtsschutzversicherung ist dabei kein Hinderungsgrund. Schließlich hat der Verein angekündigt, einen Prozessfinanzierer hinzuzuziehen, der bei einem Schuldspruch einen Teil der Schadensersatzsumme erhalten würde. So entsteht Ihnen kein Prozesskostenrisiko.
Tipp für die Klage gegen deutsche Behörden: Sollten Sie dagegen in Betracht ziehen, die deutsche Städte oder Kreise zu verklagen, beachten Sie bitte die folgenden Hinweise:
- Für den Fall, dass Sie rechtsschutzversichert sind, sollten Sie noch vor der Klageerhebung Ihre Rechtsschutzversicherung kontaktieren und diese um eine Deckungszusage bitten.
- Über Amtshaftungs- und Aufopferungsklagen entscheiden gemäß § 40 Abs. 2 VwGO die ordentlichen Gerichte und zwar nach § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG streitwertunabhängig die Landgerichte in erster Instanz. In örtlicher Hinsicht haben Sie die Wahl, die Klage entweder am Sitz Ihres Klagegegners (Stadt- bzw. Kreisverwaltung) zu erheben oder aber an dem Ort, an dem die Ihrer Meinung nach gebotene Handlung zur Eindämmung des Virus nicht vorgenommen worden ist.
Alles in allem können auch wir die Erfolgsaussichten einer solchen Amtshaftungsklage gegen deutsche Städte und Kreise nicht sicher einschätzen. Es gibt schlicht noch keine haltbaren Rechtsprechungstendenzen zur Corona-Problematik. Und natürlich ist es möglich, dass Gerichte im Nachhinein eine Schadensersatzpflicht der Behörden für ganz bestimmte Fälle von unterlassenen Maßnahmen feststellen. Es spricht aber einiges dafür, dass dies eher die Ausnahme als die Regel sein wird.